Das Interesse an Geschäftsmodellen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Grundsätzlich muss man jedoch festhalten, dass der Begriff des Geschäftsmodells nicht neu ist. So wurden schon vor Jahrzehnten verschiedene Arten von Geschäftsmodellen – u.a. strategische, operative, organisatorische oder auch technologische Geschäftsmodelle – unterschieden. In den letzten Jahren standen nun jedoch insbesondere operative Geschäftsmodelle im Mittelpunkt.
Es stellt sich unseres Erachtens aber nun die Frage, ob es bei Geschäftsmodellen nicht auch eine ähnlich sinnvolle Unterscheidung gibt, wie man sie bei der Unterscheidung zwischen strategischem und operativem Management kennt: Das strategische Management – die richtigen Dinge tun – gibt den Rahmen für das operative Management – die Dinge richtig tun – vor.
Auf Geschäftsmodelle übertragen würde dies die Frage aufwerfen, ob es einen Geschäftsmodellkern gibt, welcher den Rahmen für die weiteren (einfacher) veränderbaren Elemente eines Geschäftsmodells vorgibt. In diesem Zusammenhang sprechen wir dann von einem Business Model Prototype als solchen Geschäftsmodellkern, der bestimmend für die weiteren Elementen eines Geschäftsmodells ist. Dieser Gedanke soll im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen weiter aufbereitet werden.
Die klassische Perspektive – das operative Geschäftsmodell
Die Mehrzahl der aktuellen Geschäftsmodellansätze lassen sich den operativen Geschäftsmodellansätzen zuordnen. Dabei stellt der Geschäftsmodellansatz von Osterwalder und Pigneur eines der bekannteren Beispiele für einen operativen Geschäftsmodellansatz dar. Das operative Geschäftsmodell von Osterwalder und Pigneur (2011) setzt sich aus neun Geschäftsmodell-Bausteinen zusammen:
Kundensegmente: Für wen schöpfen wir Wert? Wer sind die wichtigsten Kunden?
Wertangebote (Value Proposition): Welchen Wert vermitteln wir dem Kunden? Welche der Probleme unseres Kunden helfen wir zu lösen? Welche Kundenbedürfnisse erfüllen wir? Welche Produkt- und Dienstleistungspakete bieten wir jedem Kundensegment an?
Kanäle: Über welche Kanäle wollen unsere Kundensegmente erreicht werden? Wie erreichen wir sie jetzt? Wie sind unsere Kanäle integriert? Welche funktionieren am besten? Welche sind am kosteneffizientesten? Wie integrieren wir sie in die Kundenabläufe?
Kundenbeziehungen: Welche Art von Beziehung erwartet jedes unserer Kundensegmente von uns? Welche haben wir eingerichtet? Wie kostenintensiv sind sie? Wie sind sie in unser übriges Geschäftsmodell integriert?
Einnahmequellen: Für welche Werte sind unsere Kunden wirklich zu bezahlen bereit? Wofür bezahlen sie jetzt? Wie bezahlen sie jetzt? Wie würden sie gerne bezahlen? Wie viel trägt jede Einnahmequelle zum Gesamtumsatz bei?
Schlüsselressourcen: Welche Schlüsselressourcen erfordern unsere Wertangebote? Unsere Distributionskanäle? Kundenbeziehungen? Einnahmequellen?
Schlüsselaktivitäten: Welche Schlüsselaktivitäten erfordern unsere Wertangebote? Unsere Distributionskanäle? Kundenbeziehungen? Einnahmequellen?
Schlüsselpartnerschaften: Wer sind unsere Schlüsselpartner? Wer sind unsere Schlüssellieferanten? Welche Schlüsselressourcen beziehen wir von Partnern? Welche Schlüsselaktivitäten üben Partner aus?
Kostenstruktur: Welches sind die wichtigsten mit unserem Geschäftsmodell verbundenen Kosten? Welche Schlüsselressourcen sind am teuersten? Welche Schlüsselaktivitäten sind am teuersten?
Zusammenfassend kann man somit aus unserer Sicht festhalten:
- Die bekannten operativen Geschäftsmodellansätze betrachtet "Geschäftsmodelle" aus einer sehr detaillierten Perspektive. Es werden umfassend alle internen und externen Wertschöpfungsinhalte von den Aktivitäten und Ressourcen bis hin zu den Partnern und Kunden angesprochen. Das kann einerseits vorteilhaft sein, da alle Aspekte eines (operativen) Geschäftsmodells frühzeitig in den Blick kommen, andererseits erhöht es aber bereits in einer frühen Phase der Geschäftsmodellentwicklung die Komplexität. Genau das widerspricht aber einem Grundsatz, den die beiden US-amerikanischen Managementforscher Sull und Eisenhardt im Jahr 2012 für den (hyper-)dynamischen Wettbewerb wie folgt formulierten: „Je komplexer das Umfeld, desto einfacher müssen die Regeln sein, nach denen gehandelt wird.“
- Zudem bleibt festzuhalten, dass die operativen Geschäftsmodellansätze im Allgemeinen den Kundennutzen oder die Value Proposition in den Mittelpunkt stellen. Es geht dann um die Fragen, welche Problemlösungen den Kunden angeboten werden sollen. Im Kern wird damit (stillschweigend) aber auch häufig eine Perspektivenänderung bzw. -erweiterung vorgenommen. Es wird vom Wertversprechen des Unternehmens zum Wertversprechen des angebotenen Produkts bzw. der angebotenen Dienstleistung übergegangen. In unseren Überlegungen sollten die Produkt- und die Unternehmensebene jedoch getrennt bleiben, ohne die Wechselwirkungen zwischen Produkt- und Unternehmensebene zu vernachlässigen. Zwischen beiden Ebenen bestehen sicher Unterschiede, obwohl die beiden Ebenen eng miteinander verbunden sind, wie es auch das Beispiel Markenimage (z.B. Produktmarke vs. Unternehmensmarke) stellvertretend zeigt.
Damit stellt sich nun aber die Frage, ob einige wenige Kernelemente eines Geschäftsmodells identifiziert werden können, die schwer veränderbar sind und die Rahmenbedingungen – siehe den oben genannten Zusammenhang zwischen strategischen und operativen Management – für die weiteren Elemente eines Geschäftsmodells setzen.
Der Business Model Prototype – der Geschäftsmodellkern
Unsere Untersuchungen zeigen, dass durchaus einige Kernelemente eines Geschäftsmodells identifiziert werden können. Diese Kernelemente eines Geschäftsmodells bezeichnen wir als Business Model Prototype. Der Business Model Prototype ist die „Competitive Essence“ eines Unternehmens, welches die wesentlichen Details und die wesentlichen Wirkzusammenhänge beschreibt.
Der Business Model Prototype stellt einen fokussierten Blick auf das Geschäftsmodell dar und verbindet die wesentlichen Elemente eines Geschäftsmodells unter besonderer Berücksichtigung der „Value Creation Logic“ und der „Meta Core Competencies“. Die Value Creation Logic beschreibt die Geschäftslogik, wie das Unternehmen Wert schaffen möchte. Die Meta Core Competencies beschreiben die strategischen Fähigkeiten eines Unternehmens.
In unseren aktuellen Untersuchungen setzt sich der Business Model Prototype aus fünf Elementen zusammen: der strategischen Kompetenz eines Unternehmens, den damit eng zusammenhängenden strategischen Prozessen, den strategischen Ressourcen, dem (Unternehmens-)Markenimage sowie der Geschäftslogik: Die Überlegungen zur strategischen Kompetenz schließen an einige ausgewählte entscheidungstheoretische Überlegungen an. In jedem Unternehmen existiert demnach eine strategische Kompetenz, die das strategische Denken im Unternehmen im Wesentlichen bestimmt und beeinflusst.
Eng mit der strategischen Kompetenz verbunden sind die strategischen Prozesse, die zusammen mit der strategischen Kompetenz die strategische Fähigkeiten eines Unternehmens ausmachen. Strategische Prozesse sind die Prozesse eines Unternehmens, die notwendig sind, um die spezifischen Fähigkeiten, das spezifische Wissen und die spezifischen Erfahrungen, die in der strategischen Kompetenz gebunden sind, konkret im Unternehmen umzusetzen. Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen in den strategischen Prozessen einen hohen Reifegrad erreichen.
Im Zusammenhang mit dem dynamischen Wettbewerbsgeschehen kann festgehalten werden, dass die Bedeutung der strategischen Prozesse deutlich zunimmt. So hat die bekannte US-Professorin Kathleen M. Eisenhardt in diesem Zusammenhang festgehalten, dass in turbulenten Märkten weniger die strategische Positionierung (im Sinne von Porter) entscheidend ist. Vielmehr kommt es zunehmend darauf an, dass ein Unternehmen auf die eigenen strategischen Prozesse achten muss (vgl. Eisenhardt und Brown 1999, S. 5.).
Unter strategischen Ressourcen werden im Allgemeinen die Ressourcen verstanden, die ein Unternehmen zur Umsetzung der strategischen Kompetenz aktiv aufbau und nutzt. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich heute insbesondere dadurch aus, dass es ihnen gelingt, IT-Plattformen (z.B. Apple) und/oder IT-Systeme (z.B. Amazon) aufzubauen. Durch strategische Ressourcen wird der Business Model Prototype und damit das gesamte Geschäftsmodell abgesichert und verstärkt.
Beim Markenimage muss zwischen der Produkt- und der Unternehmensmarke unterschieden werden, obwohl beide Marken Gemeinsamkeiten aufweisen. Produktmarken stehen im allgemeinen Verständnis immer in Beziehung zum Kundennutzen bzw. den Nutzenkategorien/den Nutzeninnovationen, die ein Produkt den Kunden bietet. Unternehmensmarken stehen dagegen immer in einer engen Beziehung zum Geschäftsmodell eines Unternehmens. Der Zusammenhang von Geschäftsmodell und Markenimage hat hierbei einen wesentlichen Einfluss darauf, wie ein Unternehmen einerseits am Markt agiert und anderseits, ob und wie es auf neue Wettbewerber reagiert.
Im Mittelpunkt der Geschäftslogik steht die wesentliche Frage im Zusammenhang mit einem Geschäftsmodell: „How do we make money in this business?“. Im Wesentlichen entspricht die Geschäftslogik in unserem Verständnis dann einem sogenannten Kreislaufdiagramm („causal loop diagram“).
Zusammenfassend kann man somit festhalten, dass der Business Model Prototype die wesentlichen Details und die wesentlichen Wirkzusammenhänge eines Unternehmens beschreibt. Der erweiterte Business Model Prototype ist darauf aufbauend vergleichbar mit einem Template, welches aus dem Business Model Prototype abgeleitet wird und einen detaillierten Umsetzungsplan liefert (siehe auch nachfolgende Abbildung).
Im erweiterten Business Model Prototype sind die weiteren Bausteine eines Geschäftsmodells zusammengefasst, die man auch schon aus anderen Überlegungen zu (operativen) Geschäftsmodellen kennt. In unseren Überlegungen geht es dann um die Wertschöpfungsarchitektur, die Partnerunternehmen, die Kundensegmente, die Kundenkanälen, die Kundenbeziehungen und den Kundennutzen. Die allgemeinen Überlegungen zu Geschäftsmodellen – das gilt dann auch für den erweiterten Business Model Prototype – zeigen, dass auch noch das Kostenmodell und das Erlösmodell berücksichtigen werden müssen.
Ausblick oder warum benötigt man den Business Model Prototype?
Es gibt mehrere Gründe, warum ein Unternehmensmanagement sich mit dem eigenen Business Model Prototype, aber auch den Business Model Prototypes der (potenziellen) Wettbewerber in der Branche und in der Wettbewerbsarena beschäftigen sollte:
Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Herausforderungen im Hyperwettbewerb – und hier insbesondere im Chancenanteilswettbewerb (vgl. Eckert 2016, siehe auch einen früheren Blog auf dieser Seite) – von Unternehmen ausgehen, die einen anderen Business Model Prototype und hier insbesondere branchenunübliche strategische Fähigkeiten aufweisen. Im Chancenanteilswettbewerb ist somit die gleichwertige Fokussierung auf alle Bausteine eines Geschäftsmodells nicht mehr alleine zielführend und ausreichend.
Zusätzlich zeigt sich auch, dass der Business Model Prototype für die erfolgreiche Gestaltung des Innovationsmanagements eines Unternehmens von Bedeutung ist. Sichtbar wird diese Bedeutung, wenn man das bekannte 3-Horizonte-Modell der Innovation neu betrachtet (siehe auch nachfolgende Abbildung). Im Chancenanteilswettbewerb sind insbesondere Innovationshorizont 2 (H2-Innovationen) und Innovationshorizont 3 (H3-Innovationen) von Bedeutung.
Im Innovationshorizont 2 bleiben die Geschäftsmodellinnovationen, z.B. im Zusammenhang mit Lean Start-up, innerhalb der Grenzen, die der Business Model Prototype zulässt (vgl. auch Eckert 2016 und 2016a). Diese Art von Innovationen, betrachtet man bspw. das chinesische Internet-Unternehmen Alibaba, scheint für manche Unternehmen sehr zielführend und erfolgsverfolgsversprechend.
Im Innovationshorizont 3 muss hingegen auch der Business Model Prototype, d.h. der Kern des Geschäftsmodells, innovativ verändert werden. Hier spricht man dann eher von strategischen multi-dimensionalen Geschäftsmodellinnovationen (vgl. Eckert 2016). Car2Go ist in dieser Sicht ein klassisches Beispiel für eine H3-Innovation. Car2Go basiert auf einer neuen Vision, einem neuen Business Model Prototype und einem neuen erweiterten Business Model Prototype. Diese Art von Innovation muss immer mit der Entwicklung neuer strategischer Fähigkeiten verbunden werden und geht deshalb über das Vorgehen beim klassischen Lean Start-up (in etablierten Unternehmen) hinaus. Das erhöht dann das Erfolgsrisiko deutlich und begründet, warum H3-Innovationen derzeit seltener zu sehen sind als H2-Innovationen.
Unsere Untersuchungen zeigen aber auch, dass der Business Model Prototype auch maßgeblich die Fähigkeiten eines Unternehmens beim Übergang von einem Pipeline- zu einem Plattform-Geschäftsmodell beeinflusst. Im erweiterten Business Model Prototype liegt somit der Unterschied zwischen Pipeline und Plattform; der Business Model Prototype ist der stabile oder auch der restriktive Kern.
... Fortsetzung folgt ...
Literatur:
Eckert, R. (2014), Business Model Prototyping. Geschäftsmodellentwicklung im Hyperwettbewerb. Strategische Überlegenheit als Ziel, Springer Gabler, Wiesbaden.
Eckert, R. (2016), Business Innovation Management. Geschäftsmodellinnovationen und multidimensionale Innovation im digitalen Hyperwettbewerb, Springer Gabler, Wiesbaden.
Eckert, R. (2016a), Lean Startup in Konzernen und Mittelstandsunternehmen, Springer Gabler, Wiesbaden.
Eisenhardt, K.M. und Brown, S.L. (1999), Wie Sie Ihr Geschäftsportfolio flexibel gestalten, in: Harvard Business Manager, 6/1999, S. 2-12.
Osterwalder, A. und Pigneur, Y. (2011), Business Model Generation. Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer, Campus, Frankfurt.
Sull, D. und Eisenhardt, K. M. (2012), Einfache Regeln für eine komplexe Welt, in: Harvard Business Manager, Oktober 2012, S. 38 - 46.