Lean Startup hat sich zum Quasi-Standard in der (digitalen) Startup-Szene entwickelt, wenn es um das Prozessvorgehen bei der Integration einer Nutzeninnovationen (Value Proposition Innovation) mit einer Geschäftsmodellinnovationen (Business Model Innovation) geht. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass das scheinbar etablierte Methodenset des Lean Startups die Erfolgswahrscheinlichkeiten von Startup-Unternehmen nicht unbedingt erhöht.
Dafür scheint es insbesondere zwei plausible Gründe zu geben. Zum einen wird genannt, dass die geringe Erfolgsquote des Lean Startups auf den hohen Innovationsgrad der „neuen Geschäftsidee“ zurückzuführen wäre. Zum anderen birgt das angestrebte schnelle Skalieren des Geschäftsmodells deutliche Umsetzungsrisiken.
Gerade das erstgenannte Risiko muss und soll im Rahmen dieses Beitrags kritisch betrachtet werden. So zeigen Untersuchungen, dass eine Mehrzahl vermeintlich neuer Geschäftsmodellinnovationen lediglich Imitationen sind, die z.B. auf neue Kundengruppen (Couchsurfing vs. AirBnB) ausgerichtet wurden. Ergänzend zeigt sich, dass nur rd. 21 Prozent der Geschäftsideen von Startup-Unternehmen tatsächlich auf den eigenen (kundenorientierten) Untersuchungsergebnissen bzw. den eigenen Geschäftsideen der Gründer basieren. Die Mehrzahl der Startup-Unternehmen – rd. 52 Prozent – nutzen hingegen Geschäftsideen, die im Rahmen einer vorherigen beruflichen Tätigkeit entstanden sind. Zudem zeigt sich, dass die Mehrzahl der erfolgreichen Unternehmensgründer vor der Unternehmensgründung bei einem bereits erfolgreichen Unternehmen in der gleichen Branche gearbeitet hat, in welchem dann später die Gründung erfolgte.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Lean Startup (und kundenzentrierte Erweiterungen wie das Lean Design Thinking) tatsächlich die richtigen methodischen Schwerpunkte für Unternehmensgründer setzt. Aus unserer Sicht müssen die Schwerpunkte im Lean Startup vielmehr neu adjustiert und anders ausbalanciert werden. Wir nennen diesen modifizierten Ansatz dann Fast Startup.
Konzept und Elemente von Lean Startup
Die Lean Startup-Methode geht auf Eric Ries und Steve Blank zurück. Ziel von Lean Startup ist es, die Innovationstätigkeit in Startup-Unternehmen zu beschleunigen. Im Wesentlichen geht es bei Lean Startup darum, möglichst schnell neue Opportunitäten zu identifizieren und durch Experimente mit dem Kunden zu verifizieren.
Der Fokus beim Lean Startup liegt auf einer schnellen Nutzeninnovation (z.B. Produkt- oder Dienstleistungsinnovationen), deren Umsetzung mit der Entwicklung des notwendigen Geschäftsmodells (z.B. Kundenzugänge, Partnernetzwerke) verbunden wird. Damit verbindet Lean Startup erstmals zwei bisher getrennte Innovationsschwerpunkte – Nutzeninnovation und Geschäftsmodellinnovation – konkret miteinander.
Schritt 1: Customer Discovery
Am Anfang des Lean Startup-Prozesses stehen – noch vor der ersten Produktentwicklung – erste Hypothesen zu den vermuteten Kundenproblemen bzw. den vermuteten Kundenbedürfnissen, die das zu entwickelnde Produkt befriedigen soll. Das Verstehen des Problems erfolgt auf der Grundlage von Kundenbeobachtungen, von Kundeninterviews, etc.
Darauf aufbauend werden erste Lösungsansätze für das identifizierte Kundenproblem erarbeitet (Problem-Solution Fit), welche wiederum in enger Abstimmung mit dem Kunden plausibilisiert werden. Im Rahmen und eng verbunden mit dem Problem-Solution-Fit steht die Frage, ob eine signifikante Anzahl von Kunden identifiziert werden können (Product-Market-Fit).
Sowohl für die Prüfung des Problem-Solution Fits als auch für die Prüfung des Product-Market-Fits nutzt das Lean Startup das sogenannte „Minimum Viable Product“ (MVP), welches ausgewählte Merkmale der Problemlösung bzw. des Produkts in Abstimmung mit dem Kunden überprüfen. Dieses Vorgehen wird iterativ wiederholt, bis ein abgestimmtes Produkt und ein dazu abgestimmtes Geschäftsmodell entstanden ist.
Schritt 2: Customer Validation
Im Schritt der Kundenvalidierung steht die Überprüfung der Skalierbarkeit von Produktangebot und insbesondere auch des Geschäftsmodells im Mittelpunkt. Es geht dann u.a. um die Prüfung der Skalierbarkeit der Produkt-, der Kundenakquise- oder auch der Preisgestaltungsaktivitäten. Erst die Skalierbarkeit von Produktangebot und Geschäftsmodell machen einen weiteren Entwicklungsschritt des Startup-Unternehmens sinnvoll. Gleichzeitig steht in der Kundenvalidierung der Marketing- und Vertriebsplan im Mittelpunkt. Durch eine fokussierte Nutzung von Testverkäufen etc. wird frühzeitig geprüft, ob tatsächlich eine Akzeptanz bei den Käufergruppen besteht.
Schritt 3: Customer Creation
In der Phase der Customer Creation steht der aktive Auf- bzw. Ausbau der Kundenbasis im Fokus des Managementteams. Das Customer Creation muss entsprechend der Zielsetzungen des Startup-Unternehmens spezifisch angepasst werden.
Schritt 4: Company Building
In der Phase des Unternehmensaufbaus geht es letztendlich darum, aus dem validierten Geschäftsmodell die Designkriterien für den Aufbau der Unternehmensorganisation abzuleiten. Hier geht es dann um die Gestaltung des Organisationsmodells, die Festlegung der Funktionsbereiche mit den zugehörigen Rollen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten. Im Allgemeinen geht sich ein Startup-Unternehmen in dieser Phase von einer flexiblen Netzwerkorganisation in eine Funktionalorganisation über.
Fast Startup als Gegenentwurf zum klassischen Lean Startup
Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass das Lean Startup insbesondere um die Kundenzentrierung herum entwickelt wurde. Das strukturierte Vorgehen mit Fokus auf den Kunden reicht aus unserer Sicht allerdings nicht aus, um als Startup-Unternehmen erfolgreich zu sein.
So werden zwei Erfolgsfaktoren zu wenig beachtet:
Im Übergang von der Customer Validation (Phase 2) und der Customer Creation (Phase 3) findet sich das Valley of Death, welches Geoffrey Moore ausführlich als Crossing the Chasm beschrieben hat. Hier wandelt sich die Kundengruppe und die Marketing- und Vertriebsaktivitäten eines Unternehmens müssen entsprechend angepasst werden.
Zusätzlich haben Untersuchungen gezeigt, dass Unternehmensgründungen insbesondere dann erfolgreich sind, wenn sie auf Kompetenzen aufsetzen (können), die im Gründungsteam in einer ausreichenden Tiefe schon vor der Gründung vorhanden waren. So stammen rd. 52 Prozent der Innovationen von Startup-Unternehmen aus Produkt- und Geschäftsideen, die der Gründer aus seinem vorherigen beruflichen Umfeld mitgenommen hat. Nur rd. 21 Prozent der Innovationen stammen aus eigenen Untersuchungen des Gründers.
Schritt 1: Driving Force Analysis
Berücksichtigt man die genannten Forschungsergebnisse, nach denen erfolgreiche Startup-Unternehmen auf vorhandene Problemlösungskompetenzen des Gründerteams aufsetzen, dann steht fest, dass in einer ersten Phase die strategische Problemlösungskompetenzen des Gründerteams im Fokus stehen muss.
Im Gegensatz zum Lean Startup setzt die Überlegungen zum Fast Startup auf den Problemlösungskompetenzen im Gründerteam des Startup-Unternehmens in einer ersten Phase des Driving Force Analysis auf. Aus der Driving Force Analysis zeigt sich, welchen Kundennutzen das Startup-Unternehmen erfolgreich anbieten kann.
Schritt 2: Customer Discovery
In der zweiten Phase der Customer Discovery geht es um die Identifizierung der relevanten Zielgruppen auf der Grundlage der Problemlösungskompetenzen und der anzubietenden Kundennutzen. Hier geht es somit um eine entsprechende zweifache Spezialisierung des Startup-Unternehmens auf die konkrete(n) Zielgruppe(n) und die spezifischen Problemlösungen. Im Mittelpunkt des Customer Discovery stehen dann insbesondere die Zielgruppen, bei denen die Problemlösungskompetenz den größtmöglichen Kundennutzen erbringen. Damit steht die Identifizierung der relevanten Jobs-to-be-done im Fokus. Hier geht es insbesondere um drei Kernfragen, die es zu beantworten gilt: Warum kauft die Zielgruppe das Produkt und welches Ziel möchte die Zielgruppe damit erreichen? Warum kaufen potenzielle weitere Zielgruppen das Produkt nicht? Wie kann mein Produkt das Ziel der identifizierten Zielgruppen weiter verbessern?
Aus der Identifizierung der Problemlösungs-Zielgruppen-Kombination sollte eine Skalierbarkeit des Produktangebots möglich sein, sofern das entsprechende Geschäftsmodell ausgehend von der Problemlösungskompetenz und dem angebotenen Kundennutzen abgeleitet wurde. Es geht um hier um eine kohärente Entwicklung des Geschäftsmodells.
Schritt 3: Customer Validation
In der Phase des Customer Validation geht es im Fast Innovation um das anfangs angesprochene „Crossing the Chasm“. Im Mittelpunkt steht somit die Skalierung des Geschäftsmodells. Es geht somit um die Frage, welche Elemente des Geschäftsmodells außerhalb des Geschäftsmodellkerns (Business Model Prototype) hierzu angepasst werden müssen.
Schritt 4: Company Building
In der Phase des Unternehmensaufbaus geht es letztendlich darum, aus dem validierten Geschäftsmodell die Designkriterien für eine agile Unternehmensorganisation. Aus dem wenig strukturierten Netzwerk der Gründungsphase (Phasen 1 und 2) steht die Entwicklung einer agilen Matrixorganisation aus Kompetenzbereichen und agilen Themenschwerpunkten im Mittelpunkt.
Fast Startup zur beschleunigten Unternehmensgründung
Die Vorgehensweise des Fast Startups ist durchaus an den Vorgehensschritten des Lean Startups angelehnt. Veränderungen und Anpassungen erfolgen dort, wo neue Erkenntnisse das Lean Startup verbessern. Insbesondere wird auf die Erkenntnis Rücksicht genommen, die erfolgreiche Startup-Gründungen mit den strategischen Kompetenzen des Gründerteams in Verbindung bringt. In einer kurzen Gegenüberstellung zeigen sich dann die wesentlichen Unterschiede zwischen Fast Startup und Lean Startup.
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