Die Sanierung von Unternehmen gilt häufig als Königsdisziplin des Managements. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass eine erfolgreiche Sanierung und Restrukturierung das Überleben eines Unternehmens in einer bedrohlichen Krisensituation erst sicherstellt. Aufgrund der häufig hausgemachten Gründe – z.B. misslungene Großakquisitionen von Wettbewerbern, fehlgelaufene Projekte, fehlende Controlling-Systeme – besitzen Unternehmenssanierungen dennoch einen schlechten Ruf.
Zum schlechten Ruf hat jedoch auch beigetragen, dass viele Unternehmen wenige Jahre nach einer scheinbar erfolgreichen Sanierung und einer anschließenden weiteren Restrukturierung wieder zu Krisen- und Restrukturierungsfällen wurden. Beispiele hierfür sind allgemein aus der Presse bekannt: z.B. KarstadtQuelle/Arcandor, Schefenacker, Schieder. Nicht wenige Unternehmen scheinen nach einer Krise und nach einer „erfolgreichen“ Sanierung und Restrukturierung nur eine zeitlich befristete Krisenstabilisierung erreichen zu können.
Sanierung klassisch betrachtet – erst gesund schrumpfen, dann (wieder) wachsen
Im allgemeinen Verständnis kann „Sanierung“ durch die bekannte V-Kurve beschrieben werden: erst gesund schrumpfen, dann (wieder) wachsen. In diesem Sinn steht zunächst die Stabilisierung des Unternehmens im Mittelpunkt, um das Überleben zu sichern. Hier geht es dann um Liquiditätssicherung, um schnelle Kostensenkungsmaßnahmen und um die Beseitigung von Verlustbringern auf der Produkt- und Geschäftsbereichsebene. Ist das Überleben gesichert, kommt zunehmend die notwendige strategische Neuausrichtung in den Blick. Das Unternehmen muss auf profitablere Produkt- und Marktsegmente neu ausgerichtet werden. Es muss sich auf die Produkte und Märkte konzentrieren, in denen die zukünftigen Erfolgs- und Gewinnaussichten vergleichsweise gut sind.
Obwohl nur selten ausdrücklich angesprochen, muss es bei einer strategischen Neuausrichtung immer auch um eine Veränderung des operativen Geschäftsmodells gehen. Dies ist damit begründbar, dass in der klassischen Sicht das operative Geschäftsmodell die Verbindung zwischen der (neuen) Wettbewerbsstrategie bzw. der (neuen) strategischen Positionierung im Markt und dem Organisations- sowie Prozessmodell darstellt. Das operative Geschäftsmodell fasst die Rahmenbedingungen zusammen, die aus der Wettbewerbsstrategie abgeleitet werden müssen und handlungsleitend für die Organisations- und Prozessentwicklung sind. In der Praxis scheint die Veränderung des operativen Geschäftsmodells im Rahmen der Sanierung jedoch nur von einer untergeordneten Bedeutung zu sein. Damit behindert bzw. erschwert ein unverändertes operatives Geschäftsmodell jedoch die Möglichkeiten der strategischen Neuausrichtung deutlich.
In der jüngeren Vergangenheit scheinen jedoch einige Sanierungs- und Restrukturierungsexperten zunehmend daran zu zweifeln, dass die bekannten Maßnahmen der klassischen V-Kurve ausreichen, um eine nachhaltige Sanierung bzw. Restrukturierung sicherzustellen. So ist es nicht verwunderlich, dass einige Sanierungs- und Restrukturierungsexperten begonnen haben, das vereinfachte Phasenkonzept der V-Kurve durch eine weitere Phase – die Wachstums- und Erneuerungsphase – zu ergänzen. Häufig wird hier dann auch betont, dass gerade diese Wachstums- und Erneuerungsphase in vielen (hoch-)dynamischen Branchen eine notwendige Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Turnaround darstellen würde (vgl. Eckert 2014, S. 233ff.).
Dies hat dazu geführt, dass Sanierung/Restrukturierung neu betrachtet wird. So spricht z.B. Roland Berger (2014) vom notwendigen „Entrepreneurial Restructuring“ im Sinne von „Getting entrepreneurs to restructure enterprises“. Im Mittelpunkt von „Entrepreneurial Restructuring“ steht neben den klassischen Sanierungshebeln nun auch ausdrücklich die Weiterentwicklung des operativen Geschäftsmodells (anders auch: „Business Model Canvas“) als Grundlage für den zukünftigen und nachhaltigen Unternehmenserfolg im Fokus. Damit wird u.a. sichergestellt, dass ein neues operatives Geschäftsmodell tatsächlich die strategische Neupositionierung unterstützt.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass offenbar die Einsicht wächst, dass die traditionelle V-Kurve mit den klassischen Schwerpunkten nicht mehr ausreicht, um Unternehmen in hochdynamischen Zeiten erfolgreich und nachhaltig zu restrukturieren. Gleichzeitig kommt die Bedeutung des operativen Geschäftsmodells in der Sanierung und Restrukturierung verstärkt in den Blick. Es stellt sich jedoch dennoch die Frage, ob diese Anpassungen ausreichen, um die Wahrscheinlichkeit einer nachhaltigen Sanierung und Restrukturierung zu erhöhen.
Sanierung neu betrachtet – Business Model Prototyping im Fokus
Die vorangestellten Überlegungen haben verdeutlicht, dass die klassische Sanierung immer auch implizit die Änderung des operativen Geschäftsmodells berücksichtigen muss. Eine Sanierung darf sich somit nicht nur auf die Krisenstabilisierung und die strategische Neuausrichtung – auf die klassische V-Kurve – beschränken. Eine klassische Sanierung – ohne eine explizite Berücksichtigung des operativen Geschäftsmodells – sorgt häufig nur für ein zeitlich befristetes „Verschnaufen“ des Unternehmens, bevor die Krise in einem häufig noch stärkeren Ausmaß zurückkommt. Mit den Worten von Michael Porter (1997) kann man in diesem Zusammenhang dann auch sagen, dass das Unternehmen weiter im „selbstzerstörerischen Wettbewerb“ verbleibt.
Dennoch stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der ergänzende Fokus auf das operative Geschäftsmodell tatsächlich zu nachhaltigen Sanierungs- und Restrukturierungserfolgen führen wird.
Die Sanierung von „Apple“ soll in diesem Zusammenhang als erfolgreiches Beispiel einer nachhaltigen Sanierung angesehen werden. Bei der Sanierung von „Apple“ lag der Fokus nicht nur auf den klassischen Sanierungs- und Restrukturierungshebeln und auf dem operativen Geschäftsmodell, sondern in einem besonderen Maße auf dem Business Model Prototype. So hatte Apple einen neuen Business Model Prototype entwickelt, der sich vom klassischen Business Model Prototype der Branche und damit auch vom Business Model Prototype von Apple vor der Krise unterschied.
Der Business Model Prototype (vgl. Eckert 2014 und 2016) beschreibt die (wesentlichen) Kernelemente eines Geschäftsmodells (hier dann auch „Minimum Business Model Canvas“). Diese wesentlichen Kernelemente haben sich im Allgemeinen im Laufe der Unternehmensentwicklung herausgebildet – noch bevor mit Hilfe eines abgeleiteten operativen Geschäftsmodells („erweiterter Business Model Prototype“) der tatsächliche Marktangang erfolgte. In diesem Sinne stehen beim Business Model Prototype die strategischen Fähigkeiten eines Unternehmens im Mittelpunkt, d.h. die strategische Kompetenz und die damit zusammenhängenden strategischen Prozesse, in denen das Unternehmen einen hohen Reifegrad besitzen muss. Die strategischen Fähigkeiten werden durch die strategischen Ressourcen (z.B. Produkt-/Kunden-Ökosystem), das Markenimage und die Geschäftslogik ergänzt.
Betrachtet man nun das Beispiel „Apple“ weiter, dann wurde in der Krisensituation die produktorientierte strategische Kompetenz durch eine kundenorientierte strategische Kompetenz (erst später kam noch das operative Plattform-Geschäftsmodell hinzu) ersetzt. Damit änderten sich auch die erfolgsentscheidenden strategischen Prozesse des Unternehmens; das kundenorientierte Markenimage konnte jedoch unverändert bleiben.
Das Beispiel „Apple“ zeigt, dass im Rahmen einer klassischen Sanierung nicht nur eine operative Geschäftsmodellentwicklung notwendig ist, sondern dieser operativen Geschäftsmodellentwicklung häufig eine integrierte oder eine strategische Geschäftsmodellentwicklung vorausgehen muss. Eine integrierte Geschäftsmodellentwicklung ist dann notwendig, wenn eine Änderung der strategischen Kompetenz(en) im Fokus steht. Jede Änderung der strategischen Kompetenz (als Teil des Business Model Prototypings) wird zur Folge haben, dass die aktuellen kompetenznahen strategischen Prozesse ihre herausragende Bedeutung verlieren werden und durch andere Prozesse ersetzt werden müssen. Diese neuen strategischen Prozesse müssen im Reifegrad durch Prozessinnovationen massiv (und integriert) erhöht werden. Unter einer strategischen Geschäftsmodellentwicklung wird eine integrierte Produkt- und operative Geschäftsmodellentwicklung in Verbindung mit der Erneuerung des Business Model Prototypes verstanden (vgl. Eckert 2016, S. 166ff.).
Im Mittelpunkt einer nachhaltigen Restrukturierung, im Nachgang an die klassischen Rettungsmaßnahmen, muss somit der Business Model Prototype (vgl. Eckert 2014 und 2016) stehen. Der Business Model Prototype stellt einen fokussierten Blick auf die wesentlichen Elemente eines Geschäftsmodells dar. Demnach ist ein Business Model Prototype vergleichbar mit einem Modell, welches die wesentlichen Details und die wesentlichen Wirkzusammenhänge eines Unternehmens beschreibt. Das operative Geschäftsmodell ist dann vergleichbar mit einem Template, welches aus dem Business Model Prototype abgeleitet wird und den detaillierten Umsetzungsplan liefert. Eine alleinige Veränderung des operativen Geschäftsmodells kann somit immer nur innerhalb der Grenzen des Business Model Prototypes erfolgen.
Weiterführende Literatur:
Eckert, R. (2014), Business Model Prototyping. Geschäftsmodellentwicklung im Hyperwettbewerb. Strategische Überlegenheit als Ziel, Springer Gabler, Wiesbaden.
Eckert, R. (2016), Business Innovation Management. Geschäftsmodellinnovationen und multidimensionale Innovationen im digitalen Hyperwettbewerb, Springer Gabler, Wiesbaden, Veröffentlichung in Vorbereitung.
Porter, M. (1997), Nur Strategie sichert auf Dauer hohe Erträge, Harvard Business Manager, 2-17.
Roland Berger (Hrsg.) (2014), Entrepreneurial Restructuring. Crafting tailor-made business models for sustainable success, Think Act October 2014.