Corporate Venturing muss sich auf den Chancenanteilswettbewerb ausrichten

Corporate Venture Capital (CVC) gewinnt wieder zunehmend an Bedeutung. BMW, e.on und andere Unternehmen investieren wieder stärker in junge Wachstumsunternehmen. Dabei sehen sich die Beteiligungsgesellschaften von Konzernen häufig als strategische Investoren. Dennoch zeigen Untersuchungen, dass sich die Beteiligungsgesellschaften von Konzernen in der Realität dann häufig doch wie klassische Venture Capitalisten (VC) verhalten, und insbesondere die finanzielle Rendite in den Mittelpunkt stellen.

Untersuchungen (z.B. HBR 2017) zeigen, dass offenbar auch bei den Beteiligungs-gesellschaften von Konzernen die Renditeerwartungen der Zielunternehmen im Mittelpunkt stehen. Das ist nicht verwunderlich, da in etablierten Unternehmen eben der klassische Wettbewerb um Marktanteile im Mittelpunkt der Management-aufmerksamkeit steht. Im Marktanteilswettbewerb kommt der Rendite als Gradmesser des Erfolgs jedoch eine besondere Bedeutung zu. Gleichzeitig muss man aber auch festhalten, dass ein Renditefokus – in Abhängigkeit von dessen Ausprägung – das Vorgehen bei der Auswahl von Zielunternehmen maßgeblich beeinflusst. So muss sich ein renditeorientiertes (klassisches) VC-Unternehmen mehr Gedanken über einen möglichen (Unternehmens-)Wert beim Exit machen. Ein strategie-orientiertes CVC-Unternehmen muss hingegen mehr Wert auf die Identifizierung des strategisch richtigen Zielunternehmens legen. Insbesondere im Corporate Venture Capital kann eine zu starke bzw. eine bestimmende Renditeorientierung somit durchaus problematisch sein.

Innovationswettlauf um Chancenanteile

Betrachtet man diverse Untersuchungen, so scheinen die bekannten US-Konzerne Google, Amazon oder auch Apple eine Blaupause für den CVC-Bereich zu liefern. So hat sich z.B. Google in den letzten Jahren an mehr als 200 Unternehmen beteiligt. Darunter fallen u.a. der Internetprovider Webpass, der Predicitive-Analytics-Spezialist Apigee oder auch Moodstocks, der Anbieter von Bilderkennungs-Apps. Damit hat Google frühere "Serial Acquirer" (z.B. Cisco) abgelöst. Während das Corporate Venturing in früheren Zeiten insbesondere auf neue Technologien fokussierte, geht es heute zunehmend um die Stärkung des (bestehenden) Ökosystems. So geht es dann offenbar bei Google auch darum, das bestehende Ökosystem zu sichern und auszu-bauen. Damit haben Google und auch die anderen genannten Unternehmen aber den Wettbewerb um zukünftige Chancenanteile im Fokus (zur Unterscheidung von Wettbewerb um Markt- und Chancenanteile siehe auch Eckert, Business Innovation Management, Springer Gabler 2017).

Bei klassischen (deutschen) Unternehmen fehlen häufig noch Ökosysteme, wie sie Apple, Amazon, Alibaba oder auch Google bereits geschaffen haben. Entsprechend schwierig scheint es für ein CVC in klassischen Unternehmen, die "richtigen" Beteiligungen zu identifizieren. Dann - und auch aufgrund der Renditeorientierung der Muttergesellschaft - scheint der Fokus auf die Rendite eine gute Alternative zu bieten. Es wird sich an Start-ups in den "richtigen" Schwerpunkten Biotechnologie, Smart Home, IoT, Mobilität, etc. beteiligt. Co-Investments mit klassischen VCs werden als der richtige Weg gefeiert.

Ausgründung und Corporate Venturing im Chancenanteilswettbewerb

Grundsätzlich kann der Auf- und Ausbau eines Ökosystems im Chancen-anteilswettbewerb insbesondere durch Ausgründungen und auch durch Beteiligungen (Corporate Venturing) vorbereitet und umgesetzt werden.

  • Ausgründungen: Der Auf- und Ausbau des Ökosystems kann dadurch geschehen, dass Unternehmen eigene "try-and-error"-Ausgründungen (siehe z.B. diverse Ausgründungen bei Alibaba) - häufig inspiriert durch vorhandene Vorbilder - vorantreiben. Erfolgreich sind diese Ausgründungen aber nicht durch den Nachbau der Vorbilder, sondern eher durch die Anschlussfähigkeit an den eigenen Geschäfts-modellkern/Business Model Prototype. Dieser interne Weg setzt aber organisa-torische (z.B. Schwarm-Organisation) und kulturelle (z.B. Intra-/Entrepreneurship, Fehlerkultur) Veränderungen voraus.
  • Corporate Venturing: Der Auf- und Ausbau des Ökosystems kann aber auch durch Corporate Venturing vorangetrieben werden. Dies setzt jedoch eine Fokussierung des Corporate Venturings auf diesen Wettbewerb um Chancenanteile voraus.

Hier kann man dann aber durchaus von Google, Amazon und den genannten Unternehmen lernen. Diese stellen bei den Ausgründungen und beim Corporate Venturing den Geschäftsmodellkern - den Business Model Prototype - in den Mittelpunkt. Die Stärkung des Geschäftsmodellkerns steht immer im Fokus. Dabei besteht ein Geschäftsmodellkern u.a. aus den strategischen Kompetenzen, der Geschäftslogik, den strategischen Ressourcen oder auch dem Markenimage (vgl. Eckert, Business Innovation Management, Springer Gabler 2017).

Corporate Venturing im Chancenanteilswettbewerb

Die zunehmende Bedeutung des Chancenanteilswettbewerbs bietet somit Potenziale für eine neue Ausrichtung der CVC-Aktivitäten in etablierten Unter-nehmen. Dabei geht es zunächst darum, den Business Model Prototype von Mutterunternehmen und Geschäftsbereichen zu kennen und zu verstehen.

Zudem muss die Art des (zukünftigen) Ökosystems spezifiziert werden. Hier stellt sich die Frage, ob es eher um den Aufbau eines vernetzten Produkt-Ökosystems, oder eher um den Aufbau eines vernetzen Kunden-Ökosystems geht. Im erstgenannten Fall soll ein Produkt oder eine Dienstleistung sukzessive für die Kunden (u.a. durch Techno-logien) aufgewertet und in der Attraktivität gesteigert werden. Im zweitgenannten Fall soll eine Kundenbasis durch zusätzliche Produkte und Dienstleistungen (u.a. auch ergänzt durch neue operative Geschäftsmodelle/durch einen neuen erweiterten Business Model Prototype) weiter ausgebaut und enger an das eigene Unternehmen gebunden werden.

Die Beteiligung der Deutsche Post an dem Start-up Streetscooter - einem Transporter mit Elektroantrieb - kann in unserem Verständnis in diesem Sinn dann entsprechend interpretiert werden. Mit einem u.a. steigenden Umweltbewusstsein der Kunden, und zunehmenden Einfahrtbeschränkungen in Umweltzonen/ Stadtbereichen stellen Elektro-Transporter eine wichtige zukünftige strategische Ressource dar. Durch die Beteiligung an Streetscooter wird das eigene Produkt/Dienstleistungs-Ökosystem weiter ausgebaut sowie der eigene Business Model Prototype durch eine neue strategische Ressource gestärkt. Ähnlich wie die Amazon Web Services (AWS) - früher "nur" eine strategische Ressource im Business Model Prototype von Amazon - kann hieraus mit Phantasie auch ein neuer bzw. weiterer Business Model Prototype für die Deutsche Post entstehen.

Schlussfolgerungen für das zukünftige Corporate Venturing

Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass sich auch CVC-Einheiten wie die klassischen VC-Unternehmen renditefokussiert (für den Marktanteilswettbewerb) aufstellen. Nur in diesem Fall macht ein kontinuierliches Co-Investment mit (unabhängigen) VC-Unternehmen dann wirklich Sinn. Dann sollten jedoch weniger die Einzelinvestments, sondern - ganz klassisch - das Gesamt-Portfolio im Mittelpunkt stehen. Zudem muss hier dann aber auch ein sofortiger Transfer von Wissen (z.B. Technologien) in die bestehenden operativen Einheiten möglich sein.

Aus unserer Sicht müssen/sollten sich CVC-Einheiten aber stärker auf den Auf- und Ausbau von Ökosystemen und damit insbesondere auf den Chancenanteilswett-bewerb konzentrieren. Hier wird sich dann aber zeigen, ob die gefeierten Me-too-Investitionen wirklich sinnvoll sind. Im Mittelpunkt muss hier besser der eigene Business Model Prototype und das angestrebte Ökosystem stehen, oder eben auch ein zukünftiger Business Model Prototype inkl. zukünftigem Ökosystem. Für CVCs sind monetäre Erfolge sicher auch sinnvoll, wichtiger ist jedoch der aktive Aufbau eines Ökosystems für das Mutterunternehmen und die Geschäftsbereiche im Wettbewerb um Chancenanteile.

Fasst man zusammen, so stellt man fest, dass es überlegenswert ist, die CVC-Aktivitäten noch stärker mit dem Innovationsmanagement, den unternehmens-spezifischen Schwerpunkten im Chancenanteilswettbewerb, den entsprechenden Analysen des Business Model Prototypes, den aktuellen und zukünftig erwartbaren Ökosystemen sowie den zukünftigen Technologie- und Fähigkeiten-Roadmaps zu verbinden. Dabei muss das Corporate Venturing auch radikale Brüche in der Branche, das Entstehen von Produkt- und Kunden-Ökosystemen sowie auch von branchenübergreifenden Wettbewerbsarenen noch viel aggressiver „vorausdenken“, und die Investitionsentscheidungen in einem höheren Maße hiervon abhängig machen.

 

Hinweis: Dieser Artikel ist in einer früheren Überlegung auch auf Springer Professional erschienen. Siehe in diesem Zusammenhang dann https://www.springerprofessional.de/innovationsmanagement/beteiligung/corporate-venturing-staerkt-die-innovationsfaehigkeit-/12187122?wt_mc=offsi.emag.controlling-management-review.rssnews.-.x