Digitale Transformation bei BMW und Daimler

Wer hat den Stein der Weisen gefunden? BMW oder Daimler? Während der bayerische Autobauer bei der digitalen Transformation auf Multi-Projekt-management setzt, treiben die Stuttgarter die Schwarm-Organisation voran.

Daimler-Chef Zetsche hat im letzten Jahr in der FAZ (FAZ 7.9.2016) angekündigt, „rund 20 Prozent der Mitarbeiter auf eine Schwarm-Organisation“ umstellen zu wollen. „Dabei sollen Mitarbeiter, die nicht in strikte Hierarchien eingebunden sind, für bestimmte Themen verknüpft werden“. Ziel ist es, dass Daimler, zumindest in Teilen wie ein Start-up-Unternehmen agiert (siehe auch den Beitrag des Autors "Warum Daimler auf die Schwarm-Organisation setzt").

Inzwischen hat auch BMW (Computerwoche 9.3.2017) in einem ähnlichen Zusammenhang festgehalten, sich zukünftig von „den starren Hierarchien zu lösen“ und ein „sehr liquides Multiprojekt-Management“ zu entwickeln, um ein schnelles, agiles und integriertes Arbeiten zu realisieren. Dabei wird dann festgelegt, welche Kompetenzen ein Projekt benötigt, und welche Fachbereiche betroffen sind.

Neuer Fokus im digitalen Hyperwettbewerb: Multidimensionale Innovationen

Im modernen Innovationswettbewerb wird es zunehmend um multidimensionale Innovationen gehen (vgl. Eckert 2016). Unter multidimensionalen Innovationen versteht man eine integrierte Innovationstätigkeit, bei der mehrere Innovationstypen - z.B. Produkt- und Geschäftsmodellinnovationen - gleichzeitig vorangetrieben werden müssen. Der multidimensionale Innovationswettbewerb stellt jedoch neue organisatorische Anforderungen an Unternehmen.

Die Erarbeitung von multidimensionalen Innovationen setzt interdisziplinäre Teams außerhalb der klassischen Entwicklungsbereiche und außerhalb der bekannten Hierarchien voraus. Erfolgsentscheidend ist dann aber auch, dass diese Teams „horizontal interkompatibel“ sind (vgl. Eckert 2016a). Horizontale Interkompatibilität entsteht aus einem kontinuierlichen Informationsaustausch in Echtzeit. Gleichzeitig muss jedoch auch eine abgestimmte und gemeinsame Sichtweise zwischen diesen dezentralen und häufig selbst-organisierten Teams geschaffen werden Damit geht es aber um mehr als Informationsaustausch; es geht insbesondere auch um eine (Selbst-)Synchronisationen zwischen den Teams.

Agiles (Multi-)Projektmanagement vs. Schwarm-Organisation

Allgemein ist ein (Einzel-)Projekt eine singuläre, komplexe und zeitlich begrenzte Aufgabe. Durch ein Multi-Projektmanagement soll eine übergreifende Planung, Überwachung, Koordination und Steuerung von mehreren Projekten erfolgen, die einem gemeinsamen Ziel – hier ist das die Digitalisierung bei BMW – dienen. Auf diese Weise entsteht ein funktions- und bereichsübergreifendes gemeinsames Verständnis im Sinne der horizontalen Interkomparabilität in und zwischen den Projektteams. Gleichzeitig nimmt die Transparenz zu. Durch das übergeordnete (Multi-)Projektmanagement soll gleichzeitig die Synchronsation zwischen den verschiedenen Projektteams sichergestellt werden. Die Ziele werden (übergeordnet) definiert; die konkrete Ausgestaltung der Umsetzung erfolgt selbstorganisiert durch die Teams im definierten Rahmen.

Auch eine Schwarm-Organisation soll die horizontale Interkomparabilität erhöhen. Auch hier geht es dann um Selbstorganisation, höhere Handlungskompetenz, mehr Freiheitsgrade sowie höhere Flexibilität für die Mitglieder des Schwarms. Die Mitarbeiter und Teams sind hier aber mehr Intrapreneure im Unternehmen anzusehen, im Vergleich zu einem Projektmitarbeiter. Zielsetzung sind hier dann weniger nur das Lösen von definierten Aufgaben mit Hilfe von agilen Methoden, sondern vielmehr das Entdecken von neuen (Markt-)Potenzialen mit Hilfe von multidimensionalen Innovationen. Das Ziel darf hier somit noch nicht (final) definiert und festgelegt sein, der "Bewegungsrahmen" (der "strategic intent", z.B. Mobilität) der Schwarm-Mitarbeiter scheint somit weiter gefasst und offener zu sein.

In einem Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass die horizontale Interkomparabilität in einem Unternehmen im multidimensionalen Innovationswettbewerb deutlich gesteigert werden muss. Hierzu können sowohl ein agiles Multi-Projektmanagement, als auch eine Schwarm-Organisation beitragen. Die Schwarm-Organisation scheint jedoch eine radikale(re) Neudefinition von Aufgaben und Inhalten zu benötigen und auch zu ermöglichen.

Wie Alibaba die horizontale Interkomparabilität im digitalen Wettbewerb steigert

Alibaba hat vorgemacht, wie es gehen kann: Bei Alibaba bilden sich aus der Organisation regelmäßig und selbstorganisiert kleine Start-up-Einheiten heraus, mit denen neue Marktmöglichkeiten getestet werden. Diese kleinen Start-up-Einheiten entstehen aus den (selbst-organisierten) Initiativen von Mitarbeitern und Teams. Die Mitarbeiter sind aus den bekannten Hierarchien ausgegliedert, um eigenständig neue Ideen aufgreifen und vorantreiben zu können. Dies kann durchaus mit den Überlegungen zur Schwarm-Organisation in Verbindung gebracht werden.

Bei Alibaba hat das Konzept dazu geführt, dass das Unternehmen unter Nutzung multidimensionaler Innovationen in selbst-organisierten Innovationsteams die anfangs vorhandene E-Commerce-Plattform für kleine Export-Unternehmen um u.a. eine Online-Shopping-Plattform, einen Online-B2C-Marktpatz und weitere Einheiten kontinuierlich erweitert hat.

Während das Initiieren und Aufgreifen von neuen Ideen eher mit der Schwarm-Organisation in Verbindung gebracht werden kann, muss die konkrete Umsetzung dagegen zunehmend auf die Methoden des agilen Projektmanagements setzen. Die Marktmöglichkeiten bzw. die Projektziele sind bereits in Sicht. Nun geht es um eine strukturierte Umsetzung der Potenziale in horizontal vernetzten Teams innerhalb und außerhalb der Organisation.

Zusammenfassend gilt damit: Die Steigerung der horizontalen Interkomparabilität wird in den Unternehmen immer mehr zur Notwendigkeit. Legt man den Schwerpunkt auf ein interdisziplinäres Experimentieren mit dem Ziel, neue Geschäftsmodelle im Rahmen von multidimensionalen Innovationen aus der eigenen Organisation, und unter Nutzung aller möglichen internen und externen Kompetenzen zu entwickeln, dann wird man um eine Diskussion der Schwarm-Organisation (und ähnlicher Organisationskonzepte) nicht herumkommen. In der konkreten Umsetzung wird man anschließend die Erkenntnise aus den agilen (Multi-)Projektmethoden sinnvoll nutzen können. Das bedeutet dann aber nicht Schwarm-Organisation vs. agiles (Multi-)Projektmanagement, sondern eine integrierte Nutzung von beiden Konzepten.

 

Weitere Literaturempfehlungen

Eckert, R. (2016), Business Innovation Management. Geschäftsmodellinnovationen und multidimensionale Innovationen im digitalen Hyperwettbewerb, Springer Gabler, Wiesbaden

Eckert, R. (2016a), Wie gestaltet man zukunftsfähige Organisationsstrukturen, in Roehl, H. und Asselmeyer, H., Organisationen klug gestalten - Kompetenzen für eine komplexe Welt, Schaeffer-Poeschel, Stuttgart.

Hinweis: Dieser Artikel ist in ähnlicher Form auch auf Springer Professional erschienen. Siehe hierzu auch https://www.springerprofessional.de/projektmanagement/agile-methoden/digitalisierungsstrategien-bei-bmw-und-daimler/12265936