Herausforderung Crossroad-Management: Blitzscaling und Fastscaling im digitalen Hyperwettbewerb

Im digitalen Hyperwettbewerb müssen der datenbasierten Hyperwettbewerb um Marktanteile und der innovationsorientierte Hyperwettbewerb um Chancenanteile gleichwertig betrachtet werden. Dennoch gilt häufig, dass Managementteams auf den datenbasierten Hyperwettbewerb um Marktanteile fokussieren. Trotz der Digitalisierung gilt aber weiter, dass Informations- und Wettbewerbsvorteile nur temporär sind und die Lebensdauer von Informations- und Wettbewerbsvorteilen auch im datenbasierten Hyperwettbewerb um Marktanteile - analog dem bekannten klassischen Wettbewerb - immer kürzer werden.

Dies bedeutet dann aber in der Konsequenz, dass im digitalen Hyperwettbewerb der innovationsorientierte Wettbewerb um Chancenanteile und damit der Wettbewerb um die Zukunft für Unternehmen zunehmend erfolgsentscheidend ist. Es müssen in immer kürzer werdenden Zeithorizonten neue Informations- und Wettbewerbsvorteile durch z.B. Strategic Foresighting, neue Geschäftsmodelle, etc. geschaffen werden. Es geht hier dann um das Suchen von (Zukunfts-)Chancen und um den proaktiven Aufbau von Opportunitäten.

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Dabei geht der Begriff des innovationsorientierten Hyperwettbewerbs um Chancenanteile in unserem Verständnis deutlich über den bekannten Begriff des Innovationswettbewerbs hinaus. Während im Innovationswettbewerb insbesondere inkrementelle Produkt- und Prozessinnovationen oder auch selektive operative Geschäftsmodellinnovationen (z.B. neue Kundenkanäle, neue Wertschöpfungspartner) zur Stärkung der eigenen strategischen Positionierung und Differenzierung im Mittelpunkt stehen, geht es im innovationsorientierten Hyperwettbewerb um Chancenanteile um ein multidimensionales Business Innovation Management (vgl. Eckert 2017) und damit um die Gestaltung einer strategische Überlegenheit (vgl. Eckert 2014).

Crossroad-Management als Management des Übergangs vom Chancen- zum Marktanteilswettbewerb

Folgt man den genannten Überlegungen, dann müssen Unternehmen im digitalen Hyperwettbewerb neue Wettbewerbsvorteile immer schneller erarbeiten. Das bedeutet zum einen eine zunehmende Wichtigkeit des multidimensionalen Business Innovation Managements zur pro-aktiven Erarbeitung von Zukunftsoptionen, aus denen Wettbewerbsvorteile entstehen. Zum anderen bedeutet dies aber auch, dass ein aktives Crossroad-Management aufgrund der zunehmenden Häufigkeit des Übergangs vom Chancenanteilswettbewerb zum Marktanteilswettbewerb zunehmend wichtig wird.

Geht man davon aus, dass Zukunftsoptionen häufig mit veränderten oder auch neuen Geschäftsmodellen in getrennten Organisationseinheiten einhergehen, dann lassen sich die Schwerpunkte des Crossroad-Managements anhand eines allgemeinen Entwicklungspfads eines (jungen) Wachstumsunternehmens darstellen.

In diesem Zusammenhang sprechen z.B. Churchill und Lewis (1983) von fünf Entwicklungsphasen eines (jungen) Wachstumsunternehmens: In einer ersten Phase („Existence“) geht es um den Product-Market-Fit des Produkts oder der Leistung einer jungen Wachstumsunternehmens. Hier geht es dann auch um die klassische strategische Positionierung eines Unternehmens nach Porter (Produkte/Dienstleistungen, Kundensegmente, Kundenkanäle). In einer zweiten Phase („Survival“) geht es um den Nachweis der operativen Leistungsfähigkeit des Geschäftsmodells und um den Nachweis der zukünftigen Profitabilität. In der dritten Phase („Success“) geht es um die Vorbereitung des zukünftigen Wachstumspfads. Im Mittelpunkt dieser Phase stehen damit u.a. die zielangepasste Gestaltung der Management- und Führungssysteme, um den Aufbau der IT-Infrastruktur und auch um die Gestaltung des zukünftigen Organisationsmodells. Ist eine Entscheidung zum zukünftigen Wachstumspfad gefallen, dann geht es in der vierten Phase („Take-off“) schließlich um die Realisierung dieses Unternehmenswachstums. In einer fünften Phase erreicht das Wachstumsunternehmen dann letztendlich eine Phase der Reife („Ressource Maturity“). Hier geht es dann um eine Stabilisierung nach der Take-off-Phase und um die weitere Gestaltung des Unternehmens. Es ist davon auszugehen, dass jedes junge Wachstumsunternehmen, aber auch ausgegliederte innovative Unternehmenseinheiten in etablierten Unternehmen, diesem Wachstumspfad folgen.

Betrachtet man die genannten fünf Phasen, so können die ersten drei Phasen mit dem Vorgehen des Lean Start-ups bzw. des Lean Design Thinkings und damit mit dem Wettbewerb um Chancenanteile in Verbindung gebracht werden (vgl. Eckert 2018). In der fünften Phase hat ein Unternehmen ein (erstes) stabiles Erfolgsplateau und damit den Wettbewerb um Marktanteile erreicht. Für das aktive Management des Übergangs vom Wettbewerb um Chancenanteile auf den Wettbewerb um Marktanteile scheint somit insbesondere die vierte Phase – die Take-off-Phase – von Bedeutung. Hier kommt dann insbesondere dem Scaling als Instrument des Crossroad-Managements eine besondere Bedeutung zu.

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Scaling als Instrument des Crossroad-Managements

Der Begriff des Scalings beschreibt in unserem Verständnis ein Instrument des aktiven Crossroad-Managements in der Phase des Take-offs. Dabei bezieht sich das Scaling nicht notwendigerweise nur auf junge Wachstumsunternehmen. Mit diesem Begriffsverständnis weichen wir von der Sichtweise von z.B. Hoffman (2018) ab.

Nach Hoffman (2018) können allgemein vier Arten des Scalings unterschieden werden. Im „classic start-up growth“ steht ein profitables Wachstum in einer frühen Entwicklungsphase eines Unternehmens im Mittelpunkt. Das „classic scale-up growth“ kann als klassisches profitables Wachstum eines Unternehmens angesehen werden. Hier steht das Wachstum unter der Prämisse, dass das eingesetzte Kapital die Kapitalkosten des Unternehmens übertrifft. Damit beschreibt das scale-up-growth in unserem Verständnis das klassische Unternehmenswachstum im Marktanteilswettbewerb. Im Fastscaling geht es um ein optimales Wachstum unter relativ stabil abschätzbaren Umweltbedingungen, während im Blitzscaling ein exzessives Wachstum unter relativ dynamischen Umweltbedingungen im Mittelpunkt steht.

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Crossroad-Management: Blitzscaling und Fastscaling im Take-off

Die vorangestellten Überlegungen haben gezeigt, dass der Übergang vom Chancenanteilswettbewerb zum Marktanteilswettbewerb durch verschiedene Herausforderungen für das Unternehmensmanagement geprägt ist. Von entscheidender Bedeutung ist hier jedoch die Take-off-Phase. In unseren Überlegungen sind nur das Blitzscaling und das Fastscaling dieser Phase des Crossroads und damit dem Crossroad-Management zuzuordnen.

Blitzscaling und Fastscaling sind in unserem Verständnis zwei risikoadjustierte Methoden zur Umsetzung einer Wachstumsstrategie im Crossroad. Dabei handelt es sich beim Blitzscaling um eine exzessive Wachstumsstrategie. Exzessives Wachstum zeichnet sich dadurch aus, dass die eigenen finanziellen und personellen Ressourcen nicht mehr zur Umsetzung des Wachstums ausreichen. Beim Fastscaling handelt es sich demgegenüber um eine optimierte Wachstumsstrategie, die sich an den vorhandenen und erreichbaren Ressourcen ausrichtet. Folgt man den Überlegungen von Hoffman, dann bietet sich das Blitzscaling insbesondere bei dynamischen und damit veränderbaren Umweltbedingungen an, während das Fastscaling als Methode insbesondere für vorhersehbare und stabile Umweltbedingungen sinnvoll ist. Damit folgt aber auch, dass das Blitzscaling im Vergleich zum Fastscaling eine höhere Risikobereitschaft bedingt.

In unseren Überlegungen sind diese Unterscheidungskriterien sicher richtig, aber nicht ausreichend. Würde man dieser Logik folgen, dann müsste ein Unternehmen in einer zunehmend dynamischen Umwelt immer das Blitzscaling im Crossroad nutzen.

Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, den Einsatz der beiden Methoden des Crossroad-Managements mehr an den bekannten Innovationsparadigmen auszurichten. In einer klassischen Sichtweise werden im Allgemeinen drei Innovationsparadigmen unterschieden: Differenzierung, Geschwindigkeit und Disruption. Unter der Differenzierung wird im Allgemeinen ein differenzierender Nutzen eines Produkts oder einer Dienstleistung für den Zielkunden verstanden. Unter Geschwindigkeit versteht man im Allgemeinen den Fokus auf die sogenannte „Time-to-Market“. Diverse Untersuchungen zeigen, dass eine kurze Time-to-Market – in Verbindung mit beschleunigten Kunden-Feedbacks und iterativen Lernzyklen im Sinne von Lean Start-up – in höheren Profitmargen resultieren. Letztendlich versteht man unter Disruption die Fähigkeit, vollkommen neue Märkte zu schaffen bzw. vollkommen neue Kundengruppen anzusprechen.

Es stellt sich somit die Frage, ob Blitzscaling und Fastscaling eine unterschiedliche Gewichtung auf die Innovationsparadigmen legen. Damit wäre eine situationsspezifische Auswahl der Methode möglich.

Im Fokus auf die Differenzierung unterscheiden sich Fastscaling und Blitzscaling aus unserer Sicht nicht wesentlich. Beide Methoden setzen an der Lean Start-up-Methode und damit am Product-Market-Fit auf.

Ein erster Unterschied zeigt sich aus unserer Sicht dann aber unter Bezug auf die Time-to-Market. Hier scheint das Fastscaling eher dem klassischen Managementdenken auf der Basis von Stage Gates verbunden. Es wird ausgehend von den verfügbaren Ressourcen in klassischen Stage Gates gedacht und geplant. Demgegenüber liegen dem Blitzscaling eher sogenannte Checkpoints zugrunde, die sukzessive und entsprechend dem Umsetzungsfortschritt definiert und angepasst werden.

Letztendlich gehen wir davon aus, dass im angestrebten bzw. erkannten Potenzial zur Disruption das eigentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen Fast Scaling und Blitz Scaling liegt. Der Nutzeninnovation aus dem Lean Start-up wird im Blitz Scaling - im Vergleich zum Fastscaling - ein hohes und eventuell sogar disruptives Veränderungs- und Erfolgspotenzial zugeschrieben, welches auch die höhere Risikobereitschaft des Blitz Innovation rechtfertigt.

Bringt man diese Überlegungen ergänzend mit den bekannten Überlegungen zu den drei Innovationshorizonten in Verbindung, dann scheint das Blitzscaling sich insbesondere im Innovationshorizont Drei und das Fast Scaling sich insbesondere dem Innovationshorizont Zwei zuordnen zu lassen. Das Fast Scaling beschreibt dann einen iterativen ergebnisdefinierten Wachstumsprozess, während das Blitzscaling einen iterativen ergebnisoffenen Wachstumsprozess beschreibt.

Erfolgsfaktor Crossroad-Management - im Allgemeinen zu wenig beachtet

Diskutiert man heute mit Unternehmens- und Innovationsverantwortlichen, so fällt auf, dass sich die Mehrzahl der Unternehmen im innovationsorientierten Hyperwettbewerb um Chancenanteile auf das Classic Start-up Growth unter Nutzung von z.B. Lean Start-up oder auch Lean Design Thinking konzentrieren. Zusätzlich liegt ein Schwerpunkt auf das Classic Scale-up Growth im datenbasierten Hyperwettbewerb um Marktanteile. Das Crossroad-Management wird im Allgemeinen wenig oder nicht beachtet. Gerade das Crossroad-Management bietet bei einem entsprechenden Einsatz von Fastscaling und Blitzscaling aber Potenziale für einen zukünftigen Erfolg im digitalen Hyperwettbewerb.

Das Crossroad-Management ist aber nicht nur als aktives Angriffsinstrument im digitalen Hyperwettbewerb von Bedeutung. Vielmehr ist das Crossroad-Management auch als Verteidigungsinstrument bedeutsam, wenn ein Wettbewerber mit einem jungen Wachstumsunternehmen ("Venture") ein erfolgreiches Start-up Growth vorgelegt hat. Dann kann ein angegriffenes Unternehmen versuchen, durch ein Business Imitation Management (Eckert 2019) in Verbindung mit einem Crossroad-Management den Time-to-Market-Vorteil des Wettbewerbers zu reduzieren und auszugleichen.

Anmerkung: Beitrag erstmals veröffentlicht auf linkedin (https://www.linkedin.com/post/edit/6476745138772156416)

Vertiefende Literatur:

Churchill, N. C. und Lewis, V. L. (1983), The Five Stages of Small Business Growth, in: Harvard Business Review May-June (Reprint 83301).

Eckert, R. (2014), Business Model Prototyping. Geschäftsmodellentwicklung im Hyperwettbewerb. Strategische Überlegenheit als Ziel, Springer Gabler.

Eckert, R. (2017), Business Innovation Management. Geschäftsmodellinnovationen und multidimensionale Innovationen im digitalen Hyperwettbewerb, Springer Gabler.

Eckert, R. (2018), Intelligente Echtzeitunternehmen im digitalen Hyperwettbewerb. Multiple Geschäftsmodelle - Hybride Organisationsmodelle - Vernetzte Ökosystem, Springer Gabler.

Eckert, R. (2019), Business Imitation Management - Neun Beschleuniger zum kreativen Imitieren von disruptiven Geschäftsmodellen, Springer Gabler.

Hoffman, R. und Yeh, Chr. (2018), Blitzscaling, Crown Publishing Group.