Häufig wird der Erfolg der erfolgreichen Technologieunternehmen (z.B. Amazon) auf die konsequente Ausrichtung der Innovationsaktivitäten auf die drei Innovationshorizonte zurückgeführt. In diesem kurzen Beitrag soll aufgezeigt werden, dass die erfolgreichen Technologieunternehmen eher in strategischen Einflusssphären denken. Das Denken in strategischen Einflusssphären ist aus unserer Sicht erfolgsentscheidend und insbesondere für den zukünftig bedeutsamen digitalen Hyperwettbewerb in Wettbewerbsarenen unbedingt erforderlich.
Vor einiger Zeit hat der Amazon-CEO Jeff Bezos mit Bezug auf drei Amazon-Projekte - den Amazon Marktplatz, Amazon Prime und Amazon Web Services – festgehalten, dass diese Projekte zunächst „mutige Wetten“ waren und „vernünftigere Naturen“ große Zweifel gehabt hätten, dass sie funktionieren können. Der Marktplatz etwa ging aus zwei gescheiterten Produkten (Amazon Auctions und zShop) hervor. Prime verlor erst Millionen von Dollar, bevor es genug Kunden anzog, um die Kosten zu rechtfertigen. Die Web-Services-Cloud sei zu Beginn auf (damalige) Start-Ups wie Pinterest oder Dropbox angewiesen gewesen, bevor sich größere Unternehmen dafür interessierten. Heute sorgen Marktplatz-Händler für mehr als die Hälfte aller Amazon-Verkäufe, Prime hat über 100 Millionen Abonnenten und Amazon Web Services bringt über fünf Milliarden Dollar Umsatz ein.
In einer (noch) aktuellen Sichtweise würde man den Erfolg von Amazon auf die konsequente Ausrichtung der Innovationsaktivitäten auf das altbekannte 3-Horizonte-Modell von Baghai et. al. (1999) zurückführen. Dies gilt umso mehr, als das 3-Horizonte-Modell inzwischen durch einen Geschäftsmodellbezug modifiziert wurde. So wird in dieser modifizierten Sichtweise festgestellt, dass die verbesserten Nutzenangebote (H1-Verbesserungsinnovationen) im Innovationshorizont Eins keiner wesentlichen Veränderung des aktuellen Geschäftsmodell eines Unternehmens bedürfen. Die kerngeschäftsnahen Nutzeninnovationen (H2) setzen im Allgemeinen auch Geschäftsmodellvariationen voraus, während die kerngeschäftsfernen Nutzenangebote (H3) häufig auf radikal veränderte Geschäftsmodelle zurückzuführen sind (vgl. Eckert 2017).
In der Sichtweise dieses modifizierten 3-Horizonte-Modells hat Amazon das bekannte Nutzenangebot bzw. die Nutzeninnovationen konsequent auf die drei Innovationshorizonte ausgerichtet. So hat Amazon z.B. durch Amazon Prime eine H2-Nutzeninnovationen umgesetzt, die kundenseitig das Amazon-Geschäftsmodell modifizierte. Gleichzeitig hat das Unternehmen aber auch ein neues Nutzenangebot im kerngeschäftsfernen Innovationshorizont H3 durch z.B. die Entwicklung des Angebots des Amazon Web Services aufgebaut.
Zusammenfassend kann man aus der Perspektive des modifizierten 3-Horizonte-Modells die Erfolgsgeschichte von Amazon kurz wie folgt beschreiben: Begonnen hat Amazon mit einer Innovation des klassischen Retail-Geschäftsmodells, welches sukzessive ausgeweitet wurde (H2-Innovationen). Die Entwicklung zum Marktplatz kann aufgrund der radikalen Veränderung als H3-Innovation beschrieben werden, da hier insbesondere das Matching zwischen Lieferanten und Kunden von Bedeutung ist. Demgegenüber ist Amazon Prime eher eine H2-Innovation, die kundenseitig das Geschäftsmodell modifiziert.
Die Beschreibung der Entwicklung von Amazon verdeutlicht aber aus unserer Sicht eine wesentliche Schwäche des 3-Horizonte-Modells. Ähnlich dem in anderen Kontexten bekannten Lebenszykluskonzept ermöglicht das 3-Horizonte-Modell eher eine beschreibende Darstellung einer vergangenen Entwicklung. Es ist in unserem Verständnis aber weniger als Methode zur pro-aktiven strategischen Steuerung geeignet. Zudem macht auch die zunehmende Bedeutung von branchenübergreifenden Wettbewerbsarenen in unserem Verständnis eine neue Perspektive notwendig. In unseren Überlegungen ist hier ein Denken in strategischen Einflusssphären in branchenübergreifenden Wettbewerbsarenen dann wesentlich zielführender.
Im Mittelpunkt unserer neuen Betrachtungen stehen verschiedene Einflusssphären in einer Wettbewerbsarena, die für ein Unternehmen unterschiedlich wichtig sein können und die zukünftigen Wettbewerbsschwerpunkte bestimmen. In diesem Zusammenhang unterscheiden wir zwischen der Kernsphäre, der Vitalsphäre, der Angriffssphäre, der Verteidigungssphäre und der Pivotsphäre. Dabei liegt in der Pivotsphäre der Fokus auf den Eintritt in eine neue Wettbewerbsarena, während die anderen strategischen Einflusssphären insbesondere die aktuelle Wettbewerbsarena eines Unternehmens im Fokus haben:
Kernsphäre eines Unternehmens: Hierbei handelt es sich um den Bereich einer Wettbewerbsarena, auf den das aktuelle Nutzenangebot und damit auch das aktuelle Geschäftsmodell eines Unternehmens ausgerichtet ist. Dieser Kernbereich ist aufgrund der höchsten Wert-/Ergebnis- und Cash-Flow-Beiträge von besonderer Bedeutung für ein Unternehmen.
Vitalsphäre eines Unternehmens: Hierbei handelt es sich um einen Einflussbereich nahe der Kernsphäre eines Unternehmens. Das bisherige Nutzenangebot wird verbessert, ohne das bestehende Geschäftsmodell zu verändern.
Angriffssphäre eines Unternehmens: Hierbei handelt es sich um eine pro-aktive Weiterentwicklung des Nutzenangebots und des Geschäftsmodells innerhalb der Wettbewerbsarena. Das bisherige Nutzenangebot in der Kernsphäre wird durch ein ergänzendes oder ein ersetzendes Nutzenangebot bzw. ein damit zusammenhängendes Geschäftsmodell verstärkt oder verändert.
Verteidigungssphäre eines Unternehmens: Hier baut ein Unternehmen ein Nutzenangebot inkl. Geschäftsmodell auf, der welches der Verteidigung der Kernsphäre dient. Hier geht es u.a. darum, das aktuelle Nutzenversprechen unabhängig von Dritten zu machen.
Pivotsphäre eines Unternehmens: In der Pivotsphäre geht es darum, gezielt Risiken einzugehen, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Hier geht es dann darum, neue Positionen in einer neuen oder anderen Wettbewerbsarena zu besetzen.
Unter Nutzung der genannten fünf strategischen Einflusssphären ergibt sich dann eine neue Sicht auf die strategische Entwicklung von Amazon. Die Kernsphäre von Amazon kann durch das Online-Buchhandelsgeschäfts beschrieben werden. Im Anschluss an die Kernsphäre hat Amazon eine erste Vitalsphäre identifiziert. Durch die Erweiterung des Nutzenangebots auf andere Warengruppen konnten die Erfahrungen aus der Kernsphäre mit einem geringen Risiko auf einen kerngeschäftsnahen Bereich übertragen werden. Auch Amazon Prime kann als Aktivität in der Vitalsphäre identifiziert werden. Der Übergang vom Retail-Geschäftsmodell zum Plattform-Geschäftsmodell in der Angriffssphäre ging dann mit einer radikalen Änderung des Nutzenangebots einher. Dieser Übergang war dann aber nicht aus einer unbestimmten Innovationssicht eines dritten Innovationshorizonts bestimmt, sondern leitete sich aus einer konkreten strategischen Überlegung ab. Gleichzeitig erkannte Amazon sukzessive, dass das eigene Nutzenangebot durch entsprechende schnelle Logistikleistungen für den Versand gestützt und geschützt werden muss. Durch die eigenen Logistikaktivitäten kann das Leistungsversprechen aus dem Retail- bzw. dem Plattformgeschäft abgesichert und verteidigt werden (Verteidigungssphäre). Bei der Pivotsphäre handelt es sich um einen Bereich, der unabhängig von der aktuellen Wettbewerbsarena ist, es einem Unternehmen aber bei Erfolg erlaubt, eine neue Kernsphäre in einer neuen Wettbewerbsarena aufzubauen. Genau darum geht es beim Aufbau von Amazon Web Services
Das Denken in aktuelle und notwendige Einflusssphären macht es auch möglich, die bekannten Innovationsmethoden diesen identifizierten strategischen Zielsetzungen zuzuordnen. In diesem Zusammenhang wird in Anlehnung an Eckert (2018) zwischen Lean Start-up, Lean Design Thinking, Rapid Design, Lean/Fast Innovation und Design Sprint unterschieden.
Innovationen zur Stärkung der Kernsphäre eines Unternehmens: Um die Position in der Kernsphäre zu stärken, reichen insbesondere inkrementelle Veränderungen im Sinne von (Verbesserungs-)Innovationen aus. Im Mittelpunkt werden hier insbesondere die klassischen Methoden des Lean/Fast Innovation stehen.
Innovationen zur Stärkung der Vitalsphäre eines Unternehmens: Hierbei handelt es sich um die Steigerung des Einflusses nahe der Kernsphäre eines Unternehmens. Das bisherige Nutzenangebot wird verbessert, ohne das bestehende Geschäftsmodell zu verändern. Aus unserer Sicht bietet sich hier dann insbesondere das Design Sprint als bevorzugte Innovationsmethode an.
Innovationen zur Stärkung der Angriffssphäre eines Unternehmens: Hierbei handelt es sich um eine pro-aktive Weiterentwicklung des Nutzenangebots und des Geschäftsmodells innerhalb der Wettbewerbsarena. Hier geht es um eine pro-aktive Geschäftsmodellentwicklung und damit um schnelle iterative Lern-/Innovationsprozesse. Vor dem Hintergrund dieser Prämissen bietet sich insbesondere das Lean Design Thinking an.
Innovationen zur Stärkung der Verteidigungssphäre eines Unternehmens: Hier baut ein Unternehmen ein Nutzenangebot inkl. Geschäftsmodell auf, der welches der Verteidigung des Kern-Einflussbereichs in der Wettbewerbsarena dient. Hier geht es u.a. darum, das aktuelle Nutzenversprechen unabhängig von Dritten zu machen. Aufgrund der bekannten Problemstellung geht es hier insbesondere um den Einsatz von Lean Start-up.
Innovationen zur Stärkung der Pivotsphäre eines Unternehmens: In der Pivotsphäre geht es darum, gezielt Risiken einzugehen, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Hier geht es dann darum, einen neuen Kernbereich in einer neuen Wettbewerbsarena zu besetzen. Hier bietet sich aufgrund der notwendigen Geschwindigkeit das Rapid Design an.
Die Ausführungen haben gezeigt, dass den strategischen Einflusssphären im (digitalen) Hyperwettbewerb in Wettbewerbsarenen eine besondere Bedeutung zukommt. Hierzu müssen Unternehmen Ihre aktuelle Position in der Wettbewerbsarena (Nutzenkategorien, Elemente des Geschäftsmodellkerns) beschreiben und aus dieser individuellen Position die verschiedenen strategischen Einflusssphären und deren Bedeutung identifizieren.
Zuerst erschienen auf linkedin
Ergänzende/Vertiefende Literatur:
Aussagen von Jeff Bezos, auf https://www.amazon-watchblog.de/jeff-bezos/1454-jeff-bezos-traumhaftes-geschaeftsmodell-vier-merkmale.html).
Eckert, R. (2016), Hyperwettbewerb in Wettbewerbsarenen: Strategie und strategisches Geschäftsmodellim Fokus, Springer Gabler, Wiesbaden.
Eckert, R. (2017), Lean Start-up is not enough in established companies, auf http://www.hyperwettbewerb.com/new-blog/2016/10/19/lean-start-up-is-not-enough-in-established-companies.
Eckert, R. (2018), Intelligente Echtzeitunternehmen im digitalen Hyperwettbewerb. Multiple Geschäftsmodelle – Hybride Organisationsmodelle – Vernetzte Ökosysteme, Springer Gabler.