Organisationsstrukturen für nachhaltig profitables Wachstum im digitalen Hyperwettbewerb

Vorbemerkung zum gemeinsamen Verständnis: In meinen Überlegungen unterscheide ich zwischen einem Wettbewerb um Chancenanteile (=Wettbewerb um die Zukunft) und einem Wettbewerb um Marktanteile (=Wettbewerb um die Gegenwart) (vgl. Eckert 2016, 2017a). Gleichzeitig setzt der vorliegende Beitrag auf den Überlegungen von Larry Greiner (Reprint 1998) auf, der festhielt, dass die strukturelle Gestaltung der Organisationsbereiche in einem Unternehmen den spezifischen Reifegrad der jeweiligen Organisationsbereiche berücksichtigen muss. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass es in einem Unternehmen gleichzeitig Netzwerkstrukturen (Heterarchien), hierarchische Strukturen und auch hybride Mischformen geben kann (vgl. kurz auch Eckert 2017b).

Vorhersehbare Veränderungen und die Notwendigkeit zur Flexibilität sind bezeichnend für die Vergangenheit

Unternehmen sind im Allgemein bestrebt langfristig erfolgreich zu sein und profitabel zu wachsen. Im Streben nach profitablem Wachstum haben sich Unternehmen in der Vergangenheit insbesondere auf den genannten Wettbewerb um die Gegenwart - dem Wettbewerb um Marktanteile - konzentriert. Hier ging es dann insbesondere um Effizienz und Effektivität. Gleichzeitig hat das Management versucht, Markt- und Wettbewerbsveränderungen durch z.B. den Einsatz der Szenariotechnik vorherzusehen. Um auf diese vorhersehbaren Veränderungen flexibel - eine dritte organisatorische Anforderung neben Effizienz und Effektivität - reagieren zu können, haben erfolgreiche Unternehmen ausgewählte organisatorische Maßnahmen ergriffen.

So wurden z.B. innovative Einheiten von den effizienten Einheiten im Rahmen von Parallelorganisationen räumlich getrennt. Dieses Vorgehen fand sich u.a. bei Ericsson, Bayer, Bosch, P&G. Häufig haben sich Unternehmen in der Vergangenheit auch regelmäßig und ganzheitlich zwischen einer mehr zentralen (effizienten) und dezentralen organisatorischen Ausrichtung hin und her bewegt. Beispiele hierfür waren/sind u.a. ThyssenKrupp, Siemens, Nokia oder auch Sony. Andere Unternehmen haben in der Vergangenheit begonnen, integrierte Matrixorganisationen aufzusetzen, die Effizienz- und Innovationseinheiten (z.B. Siemens, Hilti, Deutsche Bank) miteinander verbanden (vgl. Gomez et. al. 2007: 110ff.).

Unvorhersehbare Veränderungen und der Zwang zur Agilität sind (häufig) bestimmend für die Zukunft

Im digitalen Hyperwettbewerb reicht ein primärer Fokus auf vorhersehbare Veränderungen und damit auf den Wettbewerb um die Gegenwart nicht mehr aus. Aufgrund der abnehmenden Nutzungsdauer von Wettbewerbsvorteilen muss sich das Unternehmensmanagement stärker auf den Management um Chancenanteile konzentrieren. Zusätzlich gilt, dass die Phase des Crossroads – der Übergang zwischen dem Chancen- und dem Marktanteilswettbewerb – zunehmend kürzer wird (vgl. Eckert 2017a, 2018). Es zeigt sich, dass bei zunehmend unvorhersehbaren Veränderungen auch zunehmend wenig Zeit zur agilen Aktion bzw. Reaktion zur Verfügung stehen.

Moderne Organisationsstrukturen für den Hyperwettbewerb um Marktanteile

Dies hat dann aber deutliche Auswirkungen auf die Gestaltung von Organisationsstrukturen im digitalen Hyperwettbewerb. So zeigen unsere Untersuchungen, dass die Trennung zwischen effizienten und flexiblen (besser nun: agilen) Organisationseinheiten nicht mehr klassisch zwischen der Organisation für den Markt- und dem Chancenanteilswettbewerb verläuft. Vielmehr muss auch die klassische Organisation für den Wettbewerb um die Gegenwart effizient und agil sein. Dies kann z.B. durch die Ausgestaltung von hierarchischen Heterarchien und auch durch die Ausgestaltung von hierarchischen Heterarchien geschehen.

In der hierarchischen Heterarchie stellt das Netzwerk die Primärorganisation dar, aus der sich bei identifizierten (und eindeutigen) Problemen hierarchische Sekundärorganisationen zur Lösung der identifizierte Probleme auf der Basis von - in unserem Verständnis - weitgehend bekannten Problemlösungshypothesen ausbilden. Diese organisatorische Konfiguration findet sich z.B. zunehmend im Zusammenhang mit der organisatorischen Umsetzung von Industrie 4.0-Konzepten in Unternehmen. Deutlich wird dies Entwicklung z.B. durch die Wiederkehr des Begriffs der "fraktalen Organisation" im Kontext der Industrie 4.0 (vgl. z.B. Interview mit Prof. Dr.-Ing. Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA im maschinenmarkt 21.05.2015).

In der heterarchischen Hierarchie bilden sich hingegen aus einer hierarchischen Primärorganisation agile Netzwerke zur Lösung von identifizierten Problemen heraus, für die aus unserer Sicht noch eine Mehrzahl von Problemlösungshypothesen identifiziert werden können. Die Grundidee dieses Organisationsmodells ist dann, den Mitarbeitern die Freiheiten zu geben, die situativ richtigen Problemlösungen selbst zu initiieren und umzusetzen. Dieser Gedanke stimmt dann durchaus mit den Überlegungen von Kotter zu den „zwei Betriebssystemen“ überein und findet seine Anwendung z.B. in ausgewählten Organisationsbereichen bei Vodafone. 

Weiter gehen die notwendigen organisatorischen Umbaumaßnahmen beim sogenannten Spotify-Organisationsmodell für den Marktanteilswettbewerb, das z.B. teilweise bei ING Umsetzung findet. Unsere Analysen zeigen, dass in diesem Organisationsmodell der Fokus insbesondere auf den strategischen Kompetenzbereichen (bei ING z.B. Produktentwicklung, Vertrieb) liegt. Die organisatorische Veränderung fokussiert somit auf die strategischen Kompetenzbereiche. Aus den neu strukturierten hierarchischen strategischen Kompetenzbereichen werden problemlösungsorientierte Netzwerke als Sekundärorganisationen ausgebildet.

Es zeigt sich somit, dass hybride Organisationsmodelle für den digitalen Hyperwettbewerb um Marktanteile zunehmend an Bedeutung gewinnen. Damit zeigt sich aber, dass die bekannte Ambidextrie - die Trennung zwischen flexiblen/agilen und effizienten Organisationseinheiten - zunehmend bereits innerhalb der Organisation für den Marktanteilswettbewerb und nicht mehr nur zwischen den Organisationen des Chancenanteils- und Marktanteilswettbewerbs entsteht.

Moderne Organisationsstrukturen für den Hyperwettbewerb um Chancenanteile

Gleichzeitig muss jedoch auch die Organisation für den Wettbewerb um Chancenanteile im digitalen Hyperwettbewerb weiterentwickelt werden: Die zunehmende Bedeutung des Wettbewerbs um Chancenanteile bei einer notwendigen gleichzeitigen Verkürzung der Dauer des Crossroads führt jedoch dazu, dass ein neues Innovationsparadigma das Denken in Optionen (vgl. Eckert 2017c, 2018) – notwendig wird. Gleichzeitig macht es das Denken in Optionen aber auch notwendig, die zukünftige Gestaltung der Organisation(en) für den Hyperwettbewerb um Chancenanteile pro-aktiv zu überdenken. Vor diesem Hintergrund müssen die bekannte und die modernen Organisationsformen für diesen Wettbewerb um Chancenanteile - der klassische Entwicklungsbereich, die Digitalfabrik, die Innovationsfabrik oder auch die Schwarmorganisation – neu betrachtet und eingeordnet werden. Als gedankliches Raster können hierbei die drei Innovationshorizonte zugrunde gelegt werden.

Im Wettbewerb um Chancenanteile können drei Innovationshorizonte unterschieden werden, an denen die Innovationsaktivitäten eines Unternehmens inhaltlich und organisatorisch ausgerichtet werden müssen (vgl. Eckert 2018).

Im ersten Innovationshorizont steht das sogenannte eindimensionale Erneuerungslernen im Mittelpunkt. Hier geht es um sogenannte „Auftragsexperimente“ bei denen das Problem bekannt und bekannte Problemlösungshypothesen und bekannte Problemlösungsroutinen existieren. Je nach inhaltlicher Ausrichtung erfolgt die Umsetzung des Erneuerungslernens im klassischen Entwicklungsbereichen oder in neuen Digitalfabriken.

Im zweiten Innovationshorizont geht es um ein multidimensionales Problemlösungslernen im Rahmen von Projektexperimenten. Im Problemlösungslernen steht die Lösung von konkreten Problemen im Mittelpunkt, für die noch keine hinreichenden Problemlösungshypothesen existieren. Hier bestehen somit die Möglichkeit und/oder die Notwendigkeit, die bestehenden Routinen kritisch zu hinterfragen und auch in Frage zu stellen. Hier erfolgt die organisatorische Umsetzung in Innovationsfabriken.

Im dritten Innovationshorizont geht es um ein multidimensionales Innovationslernen durch Innovationsexperimente. Hier sollen neue Ideen durch multidimensionale Nutzen- und Geschäftsmodellinnovationen außerhalb der bisher geltenden Geschäftslogik erarbeitet werden. Dies bedeutet, dass im Gegensatz zum Problemlösungslernen nicht nur die eigenen Lernroutinen, sondern die aktuelle Wissensbasis (z.B. strategische Kompetenzen) eines Unternehmens radikal in Frage gestellt wird. Im Gegensatz zum Problemlösungslernen geht es hier nicht um die Lösung eines genau definierbaren Problems, sondern um die Veränderung der bisherigen Spielregel, die Auflösung von Branchengrenzen und um die strategische Überlegenheit (vgl. Eckert 2014). Für die Umsetzung des Innovationslernens im Unternehmen bietet sich u.a. die Schwarmorganisation (vgl. Eckert 2017d).

Die kurzen Ausführungen haben gezeigt, dass sich Ambidextrie nicht mehr nur zwischen den innovativen und effizienten Organisationsbereichen existiert. Vielmehr ist davon auszugehen, dass mit der zunehmenden Digitalisierung des Hyperwettbewerbs Ambidextrie zunehmend auch innerhalb verschiedener Organisationsbereiche des Wettbewerbs um Marktanteile bestimmend sein wird. Gleichzeitig muss die Ausgestaltung der Organisationsbereiche für den Wettbewerb um Chancenanteile zukünftig viel stärker an den Innovationshorizonten und damit an den experimentellen Innovations- bzw. Lernzielen ausgerichtet werden.

Ergänzende/Vertiefende Literatur:

Eckert, R. (2016), Wettbewerb um Chancenanteile vs. Wettbewerb um Marktanteile, zu finden auf: http://www.hyperwettbewerb.com/new-blog/2016/7/26/wettbewerb-um-markt-und-chancenanteile

Eckert, R. (2017a), Business Innovation Management. Geschäftsmodellinnovationen und multidimensionale Innovationen im digitalen Hyperwettbewerb, Springer Gabler, Wiesbaden.

Eckert, R. (2017b), Wie gestaltet man zukunftsfähige Organisationsstrukturen, in Roehl, H. und Asselmeyer, H. (Hrsg.), S. 148-154.

Eckert, R. (2017c), Denken in Optionen – das vierte Innovationsparadigma im digitalen Hyperwettbewerb, zu finden auf: http://www.hyperwettbewerb.com/new-blog/2017/2/18/das-vierte-innovationsparadigma.

Eckert, R. (2017d), Warum Daimler auf die Schwarm-Organisation setzt, zu finden auf: http://www.hyperwettbewerb.com/new-blog/2017/2/18/warum-daimler-auf-die-schwarm-organisation-setzt

Eckert, R. (2018), Intelligente Echtzeitunternehmen im digitalen Hyperwettbewerb. Multiple Geschäftsmodelle – Hybride Organisationsmodelle – Vernetzte Ökosysteme, Springer Gabler 2018, Wiesbaden (Buch derzeit in der Verlagsproduktion, voraussichtliches Erscheinen Mitte 2018 geplant).

Greiner, L. E. (1998), “Evolution and Revolution as Organizations Grow”, in: Harvard Business Review, May-June 1998 (Reprint), S. 1-11.

Gomez, P., Probst, G. und Raisch, S. (2007), Strukturen für nachhaltig profitables Wachstum, in: Raisch, S. et. al. (2007), S. 110-123.

Kotter, J. P. (2012), Die Kraft der zwei Systeme, in: Harvard Business Manager, Dezember 2012, S. 22-36.

McKinsey Quarterly, ING’s agile transformation. Two senior executives from the Dutch bank describe their recent journey, January 2017, S. 1-10.

Raisch, S., Probst, G. und Gomez, P. (2007), Wege zum Wachstum. Wie Sie nachhaltigen Unternehmenserfolg erzielen, Gabler, Wiesbaden.

Roehl, H. und Asselmeyer, H. (Hrsg.) (2017), Organisationen klug gestalten. Das Handbuch für Organisationsentwicklung und Change Management, Schaeffer-Poeschel, Stuttgart.