Unsere Untersuchungen im Zusammenhang mit dem digitalen Hyperwettbewerb haben u.a. folgende Erkenntnisse erbracht. So hat sich gezeigt, dass es für ein erfolgreiches Unternehmen in der Vergengenheit häufig ausreichend war, sich auf den klassischen Wettbewerb – den Wettbewerb um Marktanteile – zu konzentrieren. Hier hat sich das Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erarbeitet und durch entsprechende strategische Programme (z.B. Reorganisation, Restrukturierung) kontinuierlich versucht, diesen Wettbewerbsvorteil möglichst lange zu nutzen.
Die zunehmende Digitalisierung und die (Hyper-)Dynamisierung des Wettbewerbs haben nun aber zunehmend dazu geführt, dass die Nutzungsdauer eines Wettbewerbsvorteils immer kürzer wurde/wird. Deshalb geht es im digitalen Hyperwettbewerb nun auch nicht mehr nur um den Erhalt von Wettbewerbsvorteilen im Wettbewerb um Marktanteile, sondern um eine (pro-)aktive Gestaltung von Zukunftsoptionen und um einem zunehmend dynamischen Aufbau von Wettbewerbsvorteilen. Es geht zunehmend um einen Wettbewerb um Chancenanteile.
Zudem zeigt sich, dass sich ein erfolgreiches Unternehmen im digitalen Hyperwettbewerb durch eine eigendynamische/(positiv) abweichungsverstärkende Geschäftslogik auszeichnet. So zeigen z.B. das bekannte „AMAZON Wheel“ eine sich selbstverstärkende Geschäftslogik, die durch geeignete Managementmaßnahmen weiter verstärkt wurde und wird. Ähnliche Beispiele finden sich u.a. bei UBER oder auch SOUTHWEST AIRLINES. Diese Veränderungen haben aus unserer Sicht auch Auswirkungen auf ein zukünftig erfolgreiches Restrukturierungsmanagement, welches von der klassischen V-Kurve abweichen muss.
In der klassischen Restrukturierung – dargestellt durch die bekannte V-Kurve – geht es zunächst insbesondere um eine Verbesserung im Wettbewerb um Marktanteile. Dabei stehen im Rahmen einer Krisenstabilisierung zunächst die Maßnahmen im Mittelpunkt, die kurzfristig notwendig sind, um das Überleben zu sichern. Hier geht es dann um Liquiditätssicherung, um schnelle Kostensenkungsmaßnahmen und um die Beseitigung von Verlustbringern auf Produkt- und Geschäftsbereichsebene. Nach dieser aktiven Sicherung des Überlebens gewinnt die zukünftige strategische Neuausrichtung auf – insbesondere bereits vorhandene – profitable Produkt- und Marktsegmente an Bedeutung. Das Unternehmen muss sich auf die Produkte und auf die Produktmärkte konzentrieren, in denen die zukünftigen Erfolgs- und Gewinnaussichten vergleichsweise gut sind.
Dennoch hat sich in den letzten Jahren zunehmend gezeigt, dass zunächst (scheinbar) erfolgreiche Restrukturierungsprojekte nicht nachhaltig erfolgreich waren. Dafür kann es durchaus Begründungen geben. So kann dies z.B. daran liegen, dass das entsprechende Restrukturierungsprogramm nicht mit der erforderlichen Konsequenz im Unternehmen umgesetzt wurde. Es kann auch sein, dass die Restrukturierung bei den ersten Zeichen der wirtschaftlichen Erholung und noch vor einer erfolgreichen strategischen Neuausrichtung beendet wurde.
Aus unserer Sicht liegt ein weiterer wesentlicher Grund aber auch darin, dass in der klassischen V-Kurve der Wettbewerb um Chancenanteile weitgehend vernachlässigt wird. Das Denken in der V-Kurve scheint im digitalen Hyperwettbewerb deshalb wenig erfolgsversprechend. Aus unserer Sicht muss das Vorgehen in der V-Kurve durch ein „Restructuring Wheel“ ersetzt werden, bei dem der Wettbewerb um Markt- und der Wettbewerb um Chancenanteile gleichwertig berücksichtigt werden.
Aus dem „Restructuring Wheel“ ergibt sich anders als bei der V-Kurve ein Restrukturierungsvorgehen, welches die Schwerpunkte situationsangepasst und zielgerichtet auf den Markt- und den Chancenanteilswettbewerb legt. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Aufsatzpunkt situationsspezifisch erfolgen kann – sofern das Krisenunternehmen noch ausreichende Ressourcen und ausreichendes Vertrauen besitzt.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund einige bekannte Restrukturierungsfälle der letzten Jahrzehnte, dann können durchaus einige Praxisbeispiele identifiziert werden, die das Erfolgspotenzial des „Restructuring Wheels“ verdeutlichen:
- Im Jahr 1997 stand APPLE kurz vor der Insolvenz. So hielt Gene Glazer, Technikanalyst bei Dean Witter damals fest, dass „zwar noch nicht die Nägel in Apples Sarg geschlagen“ wären, doch „der Sargdeckel schließt sich“. Hier war somit eine sofortige und umfassende Steigerung der operativen Exzellenz überlebensnotwendig, um den Marktanteil zu stabilisieren. Danach erfolgte aber ein Feuerwerk von Nutzeninnovationen, der Ergänzung der strategischen Fähigkeiten durch Allianzen bis hin zur radikalen Überarbeit des Geschäftsmodells in Richtung Plattformgeschäftsmodell.
- Eine ähnliche Situation zeigt sich auch bei FIAT unter anderen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Auch hier zeigt sich zunächst ein Fokus auf die operative Exzellenz indem Kosten massiv gesenkt wurden. Gleichzeitig wurde eine Produkt-Plattformstrategie umgesetzt und eine neue strategische Positionierung vorgenommen. Durch Kooperationen wurden letztlich die eigenen strategischen Fähigkeiten zielorientiert ergänzt.
- Eine ähnliche Vorgehensweise zeigt sich letztendlich auch bei der Restrukturierung von NOKIA. Das Unternehmen kam in die Krise, da es zum einen den Technologiesprung zum Smartphone verpasst hatte. Zum anderen hatte NOKIA aber auch nicht erkannt, dass der Produktwettbewerb zunehmend zu einem Plattformwettbewerb wurde. Hier begann die Restrukturierung mit einer strategischen Neupositionierung, die Handysparte wurde an Microsoft verkauft. Heute ist NOKIA ein Netzwerkausrüster mit neuen strategischen Fähigkeiten. Aufgrund der angespannten Wettbewerbssituation folgte hieraus ein Kostensenkungsprogramm, welches durch einen neuen Nutzenfokus (z.B. vernetzte Gesundheitsprodukte, Pulsmesser mit Schlafprotokollfunktion) ergänzt und weiterentwickelt wurde.
Zusammenfassend gilt aus unserer Sicht, dass eine Unternehmenskrise im digitalen Hyperwettbewerb nicht mehr durch das "einfache" Abarbeiten der V-Kurve nachhaltig beseitigt werden kann. Hier liegt das wesentliche Problem darin, das die klassischen V-Kurve den Wettbewerb um Chancenanteile vernachlässigt. Das ändert sich auch nicht, wenn man eine strategische Neuausrichtung den Kostensenkungsmaßnahmen voranstellt.
Stattdessen muss das Vorgehen in der Restrukturierung eines Unternehmens im digitalen Hyperwettbewerb dem Vorgehenskonzept des Restructuring Wheel folgen, bei dem die Maßnahmen für den Wettbewerb um Marktanteile als auch für den Wettbewerb um Chancenanteile wirkungsverstärkend miteinander verbunden sind.
Es muss somit gelingen, dass die einzelnen Bausteine der Restrukturierung im Markt- und Chancenanteilswettbewerb aufeinander aufbauen und einen eigendynamischen und abweichungsverstärkenden Zirkel miteinander bilden.
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